Ein Interview der Stabsstelle mit dem Abteilungsleiter Jakob Graichen (Energie & Klimaschutz) des Öko-Instituts in Berlin über den notwendigen Beitrag der Luftverkehrsindustrie zur Klimazielerreichung, welche Weichen die Politik stellen muss und dass weniger Fliegen der einfachste Weg ist, den eigenen Klimafußabdruck zu reduzieren.
Karina Mombauer [KM]: Herr Graichen, welche Rolle spielt der Flugverkehr im Klimaschutz?
Jakob Graichen [JG]: Der Anteil der direkten Emissionen des internationalen Luftverkehrs an den globalen Treibhausgasemissionen beträgt ca. 2,5 Prozent, identisch zum Anteil Deutschlands. Dazu kommt noch der nationale Flugverkehr und die sogenannten nicht-CO2-Effekte: im Gegensatz zu allen anderen Emissionsquellen emittieren Flugzeuge auf 10 Kilometern Höhe und tragen damit unter anderem zur Wolkenbildung bei. Die Auswirkung auf das Klima ist komplex, der gesamte Treibhausgaseffekt ist ca. 2 bis 5 Mal höher als die reinen CO2-Emissionen aus der Verbrennung. Insgesamt entspricht der Flugverkehr also ca. 5 bis 10 Prozent der globalen Emissionen.
[KM]: Während COVID-19 hielten sich die Menschen überwiegend an die Maßnahmen zu „flatten the curve“ der Infizierten. Wieso findet seit Jahren keine mindestens ebenso starke Gesellschaftsbewegung zu, nennen wir sie, „flatten the CO2-Emissionskurve“ statt? Fehlt es am Verständnis, dass die Umweltgesundheit direkt auch mit der menschlichen Gesundheit zusammenhängt?
[JG]: Ich glaube das lässt sich schlecht vergleichen. Die Klimakrise ist mindestens so dramatisch wie die Corona-Pandemie, aber für die meisten Menschen gerade in Industrieländern letztlich noch ziemlich abstrakt. Mit den Hygienemaßnahmen kann ich mich ganz direkt schützen, Erkrankte im Bekanntenkreis und die Bilder aus Bergamo haben die Dringlichkeit gezeigt und zu persönlicher Betroffenheit geführt. Und auch wenn es sich ewig anfühlt, so sind ein Impfstoff und Medikamente zur Behandlung absehbar. Die Klimakrise hat da eine ganz andere Qualität: durch einen vermiedenen Flug kann ich weder das Klima retten, noch die Auswirkungen des Klimawandels auf mich persönlich reduzieren. Die Hitzesommer der letzten Jahre haben uns zwar einen Vorgeschmack auf die Zukunft gegeben, aber die notwendige Transformation der Wirtschaft um die Klimaerwärmung auf unter 2°C zu begrenzen wird uns noch Jahrzehnte beschäftigen.
[KM]: Inwiefern sehen Sie Handlungsbedarf seitens der Politik, aber auch seitens des individuellen Reiseverhaltens der Deutschen?
[JG]: Mit keiner anderen Aktivität kann man als Privatperson so viele Emissionen in so kurzer Zeit verursachen, wie durch einen Flug. Weniger Fliegen ist entsprechend der einfachste Weg, den eigenen Klimafußabdruck sofort zu reduzieren. Die Politik muss dies unterstützen und die Weichen dafür stellen, indem sie andere Verkehrsträger und Reiseziele attraktiver macht, z.B. indem das Angebot der Bahn verbessert wird. Und es kann nicht sein, dass Fliegen weiterhin künstlich verbilligt wird: im Gegensatz zu allen anderen Verkehrsträgern wird Flugtreibstoff nicht besteuert und auf internationale Flugtickets wird keine Mehrwertsteuer erhoben. Ohne diese beiden Subventionen wären Flugreisen ca. 50% teurer.
[KM]: Über einen Beschluss der Frankfurter Koalition (CDU, SPD und GRÜNE) sollen Dienstreisen möglichst über die Schiene und nicht mehr über Fliegen erfolgen. Ein Schritt zur Besserung oder inwiefern sollen – gerade Inlands- – Flüge verboten werden?
[JG]: Flüge auf die Schiene zu verlagern ist der richtige Ansatz. Gerade von Frankfurt ist man mit der Bahn innerhalb von 4 Stunden in Berlin, München, Hamburg, Amsterdam oder Paris. Mit An- und Abreise zum Flughafen, Sicherheitskontrollen und Wartezeiten ist auf diesen Strecken das Flugzeug nicht schneller. Und in der Bahn kann man die Reisezeit nutzen, die Zeit in der Schlange im Terminal ist vergeudet.
Die Regeln für Dienstreisen zu ändern ist wichtig, aktuell muss das kostengünstigste Ticket gekauft werden, weil ökologische Kosten nicht Teil der Reisekostenverordnung sind. Ein Verbot von Inlandsflügen wäre natürlich noch effektiver.
[KM]: Wie sieht für Sie das künftige Verkehrsverhalten nach der COVID-19-Pandemie aus und welche Auswirkungen sehen Sie für Reisende?
[JG]: Ich vermute, dass in ein paar Jahren das Reiseverhalten sich der Situation vor 2020 wieder angenähert hat. Die Anzahl der Dienstreisen wird vermutlich ggü. 2019 sinken, dank der Pandemie sind Videokonferenzen endlich eine echte Ergänzung zu anderen Kommunikationsformen im Beruf geworden. Aber im Tourismus ändert sich vermutlich wenig, die Menschen wollen weiterhin an den Strand, die Berge und die weite Welt und werden das auch spätestens dann wieder tun, wenn die Gefahr einer Ansteckung gebannt ist.
[KM]: Die Marktwirtschaft und der Homo Oeconomicus bemisst Fortschritt sicherlich anders, als Klimaforscher:innen. Was wäre ein realisierbarer Klima-Fortschritt innerhalb der deutschen Luftverkehrsindustrie?
[JG]: So wie alle anderen Sektoren muss die Luftverkehrsindustrie bis 2050 klimaneutral werden. Weitere Verbesserungen der Energieeffizienz sind dafür unabdingbar, aber das wird nicht reichen. In Norwegen sollen ab 2040 alle Kurzstreckenflüge nur noch elektrisch angetrieben werden. Für die Langstrecke sind synthetische Kraftstoffe die wahrscheinlichste Lösung. Wenn diese Kraftstoffe aus erneuerbaren Energien und CO2 aus der Luft produziert werden, belasten sie das Klima nicht. Die Weichen für einen klimaneutralen Luftverkehr werden gerade gestellt. Die deutsche Industrie sollte da proaktiv mitwirken und nicht, wie beim e-Auto, die Entwicklung verschlafen.
[KM]: Wie bewerten Sie die aktuellen Staatshilfen für die Deutsche Lufthansa und dessen Zukunftsfähigkeit? Zurück zu einer alten „Normalität“ und ihrer Wachstums-Ideologie, oder inwiefern sollten Wachstum wir nicht nur die Wertschöpfung als der Wirtschaft begreifen, sondern auch eine Art „Schadschöpfung“ (neues Wort im Sinne von Schadstoffen) fokussieren?
[JG]: Es ist schon bezeichnend, dass für die Lufthansa 9 Milliarden Euro gefunden werden; Pflegekräfte müssen sich mit Applaus begnügen. Das Wachstum des Luftverkehrssektors kann nicht so weitergehen, wie wir es in den letzten Jahrzehnten gesehen haben. Typischerweise ist die Verkehrsleistung um 5 Prozent pro Jahr gewachsen, so eine Entwicklung ist auf Dauer nicht mit den Nachhaltigkeitszielen vereinbar. Frankreich und Österreich haben bei der Rettung ihrer Fluggesellschaften Bedingungen zum Thema Klimaschutz gestellt. So muss Air France z.B. die Emissionen auf Inlandsflügen bis 2024 halbieren, u.a. durch Stilllegung von Strecken für die es TGV-Verbindungen gibt. Die Bundesregierung hat in Deutschland diese Chance leider nicht genutzt.
[KM]: Last, but not least… In Bezug auf die Luftverkehrswirtschaft: In welcher Welt wünschen Sie sich 2030/2040 zu leben?
[JG]: Auch wenn es bis jetzt vielleicht so gewirkt hat: ich wünsche mir kein Ende des Luftverkehrs. Im Gegenteil, es gibt viele gute Gründe zu fliegen und eine Welt ohne persönlichen internationalen Austausch schreckt mich ab. Ich wünsche mir, dass der Luftverkehr seinen notwendigen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele des Paris Agreements leistet und wir ohne schlechtes Gewissen in den Flieger steigen können. In zehn Jahren sollten wir auf einem guten Weg dahin sein und in zwanzig Jahren echte Fortschritte erreicht haben.
[KM]: Vielen Dank für das Interview, Herr Graichen.