Lärmwahrnehmung der Bürger während der Coronazeit

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Lärmwahrnehmung der Bürger während der Coronazeit

Grafik Interview

Ansprechpartnerin Natascha Feuerbach im Bürgeraustausch

Liebe Frau Bäuml, lieber Herr Heubner, lieber Herr Lamprecht,

die Corona-Pandemie hat uns alle voll im Griff. Unser Lebensbereich ist auf den Kopf gestellt. Jeder von uns befindet sich in einer neuen Alltags- und Lebenssituation.

Aufgrund der aktuellen Lage ruht weitestgehend auch der Flugverkehr.  Für den Fluglärm bedeutet es derzeit, dass es viel leiser geworden ist.

Natascha Feuerbach [NF]: Wie geht es Ihnen zurzeit mit der geringeren Fluglärmsituation?

Wolfgang Heubner [WH]: Wenn die Corona-Krise nicht wäre, könnte man von einer Traumsituation sprechen. Die Anzahl der Flugbewegungen pro Tag ist von ca. 1.400 auf jetzt weniger als 200 Flugbewegungen gesunken. Insbesondere auch durch die Stilllegung der Landebahn Nordwest ist es im Frankfurter Süden nochmals deutlich ruhiger geworden. Wir können unseren Garten am Haus genießen, ohne ständig unsere Gespräche wegen des Fluglärms unterbrechen zu müssen. Auch können wir den Frühlingsgesang der Vögel zuhören (man hört ohne den ständigen Fluglärm sie jetzt laut und deutlich singen). Auch ist es ein viel angenehmeres Gefühl, morgens vom Gezwitscher der Vögel geweckt zu werden, anstatt jeden Tag kurz vor fünf Uhr durch ein mit z. T. über 80 dbA überfliegendes Flugzeug aus dem Schlaf gerissen zu werden.

NF: Was hat sich für Sie persönlich verändert bzw. verbessert, seitdem Sie nicht mehr akut durch Fluglärm betroffen sind?

Gudrun Bäuml [GB]: „Sehr viel. Ich kann das Eigentumsrecht an meinem Balkon wieder nutzen, das mir seit 2011 durch die 18 Stunden am Tag im Minutentakt darüber donnernden Flugzeuge genommen wurde und einen Aufenthalt auf dem Balkon unmöglich machte. Derzeit kann ich stundenlang draußen sein, wegen Corona allerdings bedauerlicherweise allein und ohne Besucher. Auch kann ich im Wohnzimmer bei geöffnetem Fenster telefonieren oder Musik hören. Bei vollem Flugverkehr ging das oft nicht mal bei geschlossenem Fenster. Spaziergänge mit Hund im nahen Stadtwald haben eine ungeahnte Qualität, wie ich sie seit Jahrzehnten nicht mehr kenne: außer gelegentlichem Vogelgezwitscher herrscht absolute Stille. Ich genieße es und mein Tinnitus ist ebenfalls zurückgegangen.“

[WH]: „Die geringe Anzahl der Flugbewegungen hat dazu geführt, dass neben dem geringeren Lärm auch die deutlich reduzierte Schadstoffbelastung, insbesondere auch beim Ultrafeinstaub, eingetreten ist. Dies lässt die Anwohner des Flughafens deutlich besser durchatmen, so auch bei mir und meiner Familie. Wir werden sehr wahrscheinlich anhand der Messwerte an den Messstationen dies deutlich nachweisen können, welche Auswirkungen der Flughafen auf die Lärm- und Schadstoffbelastung der Region hat.“

Jürgen Lamprecht [JL]: „Seit der Eröffnung der neuen Landebahn im Kelsterbacher Wald sind wir in Niederrad noch massiver von Fluglärm und Schadstoffen betroffen. Das heißt nicht nur, wie schon immer bei Ostwind (Schönwetterlage), sondern immer ohne jegliche Pause. Ausgenommen, das unzureichende Nachtflugverbot zwischen 23 Uhr und 5 Uhr, das oft genug nicht eingehalten wird. Seit den Einschränkungen durch die Corona-Krise haben wir (fast) keine Flugbewegungen mehr. Kamen die Flieger sonst im Minutentakt, sind es jetzt vielleicht 2 Flieger am Tage. Der Landebetrieb auf der Nordwestbahn ist völlig eingestellt. Das heißt für uns, wir können tagsüber unsere Gärten, Balkone und Terrassen nutzen, ohne unsere Gespräche bei Überflug der Maschinen zu unterbrechen. Das schöne Frühlingswetter lässt uns den Aufenthalt (entsprechend der Vorschriften) im Freien genießen. Auch Spaziergänge im nahen Stadtwald haben wieder einen hohen Erholungswert. Allerdings ist mir der Preis für die jetzige Ruhe durch Corona und deren noch nicht absehbaren weiteren gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen zu hoch.“

NF: Aufgrund der aktuellen Notlage finden auch Nachtflüge statt. Wie nehmen Sie diese wahr?

[JL]: „Nachtflüge sind immer ärgerlich, aber angesichts der aktuellen Notlage verständlich und vertretbar. Vorausgesetzt, dass die Flüge am Tage nicht stattfinden können.“ Hier die Antwort von Frau Gudrun Bäuml: „Nachtflüge stören mich grundsätzlich und machen krank, wie spätestens seit der NORAH-Studie auch allgemein bekannt ist. Ich werde dadurch regelmäßig wach. Ich kann auch nicht einsehen, warum bei einem so geringen Flugverkehr wegen Corona ausgerechnet nachts geflogen werden muss.“

[WH]: „Nachtflüge sind generell störend und führen automatisch dazu, dass der Schlaf beeinträchtigt wird. Die genehmigten Nachtflüge müssten überhaupt nicht sein, denn aufgrund der weltweit sehr geringen Flugbewegungen kann man alle Starts und Landungen so legen, dass man zu einer normalen Zeit zwischen 6:00 und 22:00 Uhr starten und landen kann.“

NF: Welche Wünsche haben Sie für die Zukunft in Bezug auf die Gestaltung von Flugbewegungen und dem Fluglärm. Welche Gedanken machen Sie sich über die Zukunft der Frankfurter Fluglärmsituation?

[GB]: „An erster Stelle wünsche ich den Stopp des Ausbaus, die Begrenzung der Flugbewegungen und die Beibehaltung des momentanen Zustands der Landebahn Nordwest.“

[JL]:Mein Wunsch ist das die Gesellschaft, dass die verantwortliche Politik, die Chancen aus der Krise erkennt und zu grundsätzlichen Änderungen des Zusammenlebens und vor allem des Wirtschaftens kommt; im Sinne der immer wieder viel beschworenen und dennoch richtigen Forderung nach einer nachhaltigen Entwicklung für das künftige Leben unserer Kinder und Kindeskinder. Als kritische Menschen werden wir äußerst wachsam sein müssen und uns einmischen müssen, dass es nach der Krise nicht weiter mit Vollgas in die falsche Richtung geht. Auf den Frankfurter Flughafen bezogen heißt dies konkret, keine weiteren Ausbaumaßnahmen, Einstellung Bau Terminal 3, Deckelung der Flugbewegungen auf 380 Tausend Flugbewegungen im Jahr, Nachtflugverbot in der gesetzlichen Nacht zwischen 22 Uhr und 6 Uhr, Stilllegung Nordwestlandebahn und Wiederaufforstung, um nur die wichtigsten Forderungen zu nennen.“

NF: Haben Sie eine besondere Idee, die Sie uns noch mitteilen möchten in Bezug auf die Gestaltung des Fluglärmschutzes in der Zukunft oder was die Stabsstelle für Fluglärmschutz tun sollte?

[WH]: „Grundsätzlich bin ich sehr froh, dass es die Stabsstelle Fluglärmschutz gibt und die Auswertungen, die sie erstellen, sehr aussagefähig sind. Ein wichtiger Punkt wird für uns und auch für die Stabsstelle sein, die Auswirkungen des Flughafens auf die Lärm- und Schadstoffbelastung der Region nachzuweisen. Die Corona-Krise gibt uns hier die einmalige Möglichkeit, hierfür den Beweis anzutreten. Es gibt hierzu mittlerweile schon sehr viel Datenmaterial, insbesondere auch für den Frankfurter Süden, denn die von der Stabsstelle initiierten Messstationen an der Martin-Buber-Schule, am Lerchesberg und am alten Friedhof in Oberrad sind schon seit mehr als einem Jahr aktiv. Bei der Corona-Krise hat der Gesundheitsschutz einen hohen Stellenwert erhalten und die Politik im In- und Ausland hat mit ihrem rigiden Verhaltensregeln einen massiven „Shutdown“ des wirtschaftlichen Lebens ausgelöst und dies aus gesundheitlichen Gründen. Vom Flugverkehr wissen wir, dass er auch massiv auf die Gesundheit, insbesondere der Anrainer von Flughäfen, einwirkt. Alleine die Auswirkungen des Fluglärms auf die Gesundheit wird von Wissenschaftlern auf mehrere tausend vorzeitige Todesfälle pro Jahr definiert. Dies muss nicht sein! Ich wünsche mir, dass die Politik dem Gesundheitsschutz – auch durch Folgen des Flugverkehrs – einen höheren Stellenwert einräumt. Bisher hatten die wirtschaftlichen Belange des Luftverkehrs für die Politik eindeutig Vorrang. Dieses Thema muss deshalb von uns allen weiter aufgegriffen werden.“

[JL]: „Die Einrichtung der Stabstelle für Fluglärmschutz war eine dringende Forderung, der von Fluglärm und Dreck belasteten Bürgerinnen und Bürger Frankfurts. Gut, dass es die Stabsstelle gibt. Ich wünsche mir, dass sie weiter als Ansprechpartnerin für uns da ist und für unsere Interessen innerhalb und außerhalb der Stadt eintritt.“

Wir bedanken uns sehr herzlich für Ihre Zeit, die Sie sich für das Interview genommen haben, liebe Frau Bäuml, lieber Herr Heubner und lieber Herr Lamprecht.

Alles Gute und viel Gesundheit. Bleiben Sie gesund!

Mit besten Grüßen

Natascha Feuerbach

Ansprechpartnerin für Bürgerkontakte